Am 12. September 2017 trafen sich zwei Politikerinnen und ein Politiker im Frauenzentrum Potsdam. Die Bundestagswahl stand kurz bevor und alle drei bewarben sich um das Direktmandat in der Landeshauptstadt.
Der Abend hatte gerade erst begonnen, da zeigte Annalena Baerbock von den Grünen auf den drei Stühle weiter sitzenden Norbert Müller von den Linken und erzählte, sie hätten schon oft gemeinsame Veranstaltungen gemacht. Beide hätten Kinder im gleichen Alter. Sie wird jedes Mal gefragt, wie sie die Familie mit einer steilen politischen Karriere vereinbart. Er nie.
Viele Leserinnen werden an dieser Stelle geübt mit den Schultern zucken. Kennen wir. Ist halt so. Haben wir alle schon erlebt.
Frauen sind ein kleines bisschen mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Von den Abgeordneten im Bundestag sind ca. 30 % weiblich. In den meisten Landes- und Kommunalparlamenten liegt die Quote noch darunter. Keine der größeren deutschen Parteien hat genauso viele weibliche Mitglieder wie männliche. Wie kommt es, dass in unserer repräsentativen Demokratie ein Geschlecht so dramatisch unterrepräsentiert ist?
Bei der Wahlbeteiligung gibt es so gut wie keine Unterschiede. Fragt man Frauen und Männer danach, ob sie sich für Politik interessieren, bejahen deutlich mehr Männer als Frauen. Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich dieser Unterschied nur auf die institutionalisierte Form der Politik bezieht. Sobald man andere legale und auch illegale Formen der politischen Partizipation betrachtet – Bürgerbegehren, Demonstrationen, ziviler Ungehorsam – verschwindet der Unterschied zwischen den Geschlechtern wieder. Von einem tatsächlich geringerem Interesse an der Gestaltung der eigenen Gemeinschaft kann also nicht ausgegangen werden. Wenn Frauen nun diesen Gestaltungswillen in tatsächliche Gestaltungsmacht übersetzen wollen, stoßen sie jedoch auf Widerstände.
Vom Gestaltungswillen zur Gestaltungsmacht
Der Einstieg in eine politische Karriere beginnt meistens auf der Kommunalebene und hier wird viel ehrenamtlich gearbeitet. Neben einem Beruf und den familiären Verpflichtungen, die immer noch zum größten Teil auf weiblichen Schultern lasten, bleibt wenig Zeit für ein kraftraubendes Ehrenamt.
Ohne die Unterstützung einer etablierten Partei ist es in Deutschland fast nicht möglich in echte Einflusssphären vorzudringen. Die inneren Parteistrukturen sind immer noch stark männlich geprägt und ob bewusst oder unbewusst: Männer unterstützen eher andere Männer auf dem Weg nach oben. Man tendiert zu dem, was man selbst aus dem Spiegel kennt. Immerhin haben einige Parteien sich bereits freiwillige Selbstverpflichtungen auferlegt, die sie dazu anhalten, ihre Ämter und Listen annähernd paritätisch zu besetzen.
Wenn eine Frau nun also trotz dieser widrigen Rahmenbedingungen einen Weg in die Politik findet, bleibt immer noch der ganz banale Alltagssexismus, der täglich an den Nerven zehrt. Die schmierigen Sprüche vom älteren Kollegen. Die Berichterstattung in den Medien, bei der die Karriere von Angela Merkel zwischen „Kohls Mädchen“ und „Mutti der Nation“ nachgezeichnet wird, es aber seltsamerweise nie vorkommt, dass Christian Lindner als „Lausbub“ oder Horst Seehofer als „Opi des Freistaats“ bezeichnet wird. Die allgegenwärtigen Hassnachrichten und Vergewaltigungsphantasien, die ausnahmslos jede weibliche Person des öffentlichen Lebens erhält.
Parität jetzt!
Wer hat auf sowas Lust? Um sich diesem Umfeld freiwillig auszusetzen, muss der Machtinstinkt schon sehr ausgeprägt sein. Wir könnten jetzt wieder unser Schulterzucken herausholen und die Dinge als gegeben hinnehmen. Man braucht eben ein dickes Fell, um in der Politik zu bestehen. Es ist nicht unmöglich, schließlich gibt es ja Frauen, die es bis ganz nach oben geschafft haben.
Aber das kann nicht die Lösung sein.
Viel mehr wollen wir endlich erreichen, dass Frauen den gleichen Zugang zu politischen Entscheidungsebenen haben wie Männer. Dafür braucht es Veränderungen – in den Gesetztestexten und in den Köpfen.
Der Frauenpolitische Rat veranstaltet eine Konferenz zum Thema „Frauen in die Parlamente“. Am 8. September von 12:30 bis 18:00 Uhr wollen wir uns austauschen und gemeinsam Ursachen für die Schieflage erkennen, politische Hürden nehmen und Visionen entwickeln. Hier geht es zur Anmeldung.
Text: Laura Kapp
Wir wollen es genau wissen!
Sind Sie in der Politik aktiv? Erzählen Sie uns von Ihren persönlichen Erlebnissen mit Sexismus in der Politik. Würden Sie gerne aktiv werden, aber sind es noch nicht? Was hält Sie davon ab?
Wir wollen Beispiele sammeln für all die Faktoren, die zu einer Unterrepräsentation von Frauen in der Politik führen. Bitte teilen Sie Ihre Geschichte mit uns, gerne auch anonym.