Eine Dokumentation der Frauenkonferenz „Frauen in die Parlamente – #HälfteHälfte“ am 8. September 2018 im Landtag Brandenburg
Frauenkonferenzen haben eine lange Tradition. Alle frauenpolitischen Errungenschaften der Vergangenheit kamen nicht von ungefähr. Sie wurden nicht geschenkt oder gnädig gewährt. Sie wurden erstritten. Erstritten von Frauen, die Banden bildeten.
Sei es das Frauenwahlrecht, der internationale Frauentag oder die Verankerung der Gleichstellung im Grundgesetz – jeder dieser monumentalen Schritte begann damit, dass Frauen sich zusammensetzten, um darüber zu beraten, was wir erreichen wollen, wie wir es erreichen wollen und schließlich zur Tat schritten. Dieses Jahr reiht Brandenburg sich in diese Tradition ein.
Am 8. September lud der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg zu einer Frauenkonferenz in den Brandenburger Landtag unter der Überschrift „Frauen in die Parlamente – #HälfteHälfte“. Ca. 70 Teilnehmende aus Brandenburg und anderen Bundesländern folgten der Einladung und diskutierten über Parité in den Parlamenten und wie man sie erreichen kann.
In Brandenburg bewegt sich etwas
Auch nach 100 Jahren aktivem und passivem Frauenwahlrecht sind Frauen auf allen politischen Ebenen unterrepräsentiert.
Von den Abgeordneten im Bundestag sind ca. 30 % weiblich. In den meisten Landes- und Kommunalparlamenten liegt die Quote noch darunter. Keine der größeren deutschen Parteien hat genauso viele weibliche Mitglieder wie männliche. Im Brandenburger Landtag gibt es momentan eine Frauenquote von 36,4 % und genau hier gibt es nun ernsthafte Bestreben, diesen Zustand zu ändern.
Am 8. März 2018 brachte die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf für Parité ein. Im Anschluss wurde die Landesregierung beauftragt, Möglichkeiten für eine gesetzliche Parité-Regelung auf Landes- und Kommunalebene zu erörtern.
Der Landtag ist am 27. Juni 2018 folgendem Entschließungsantrag der beiden Regierungsfraktionen (Ds 6/9069) gefolgt: Die intensiven Beratungen des Ausschusses für Inneres und Kommunales zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Inklusives Parité-Gesetz – Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes“ (Ds 6/8210) wurden begrüßt. Änderungen des Landeswahlrechtes mit Wirkung für die Wahlen zum 7. Brandenburger Landtag wurden jedoch ausgeschlossen.
Wenige Tage vor der Konferenz, am 5. September, haben die frauenpolitischen Sprecherinnen der Landtagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen, CDU, DIE LINKE und SPD gemeinsam mit der Landesgleichstellungsbeauftragten als Reaktion auf diesen Beschluss den Aufruf „Mehr Frauen in die brandenburgische Politik“veröffentlicht. Dieser fordert alle Parteien in Brandenburg auf, bei den Brandenburger Kommunalwahlen und Landtagswahlen 2019 ihre Wahllisten für die Kommunalparlamente und den Landtag zu quotieren, bevorzugt Frauen für Direktmandate aufzustellen und die Parteiarbeit so zu gestalten, dass Frauen motiviert werden, sich einzumischen. Auch wenn es kein Parité-Gesetz für die bevorstehenden Wahlen geben wird, können die Parteien mit diesen Maßnahmen für mehr Frauen in den Brandenburger Kommunalparlamenten und im Brandenburger Landtag sorgen.
Warum brauchen wir Parität?
Die Gäste der Konferenz wurden von der Moderatorin Heide Oestreich (taz/RBB) begrüßt, welche in Anspielung auf den Spielfilm „Die göttliche Ordnung“ (Schweiz 2017) gleich darauf hinwies, worum es heute und eigentlich immer gehen soll: „Die Verpolitisierung der Frau“.
Nach Grußworten von den Sprecherinnen des Frauenpolitischen Rates und der Landtagsabgeordneten Sylvia Lehmann (SPD) folgte ein Input der Journalistin und Podcasterin Katrin Rönicke. Sie stellte die Frage „Warum brauchen wir Parität?“ um gleich darauf die Antwort zu liefern: Alles andere wäre schlicht undemokratisch.
Alte Machtverhältnisse ändern sich nicht von allein. Dafür braucht es Regelungen. Und Machtverhältnisse müssen sich ändern, damit endlich Politik für alle gemacht werden kann, damit die Lebensumstände von Menschen mitgedacht werden, die eben nicht weiße Männer in einem gewissen Alter sind. Politik, so wie sie jetzt praktiziert wird, ist nicht vereinbar. „Das Arbeitspensum ist lebensfeindlich.“ So lange Politik automatisch Termine am Abend und am Wochenende bedeutet und solange Frauen mehrheitlich die Sorgearbeit in der Familie leisten, ist echte Partizipation schwierig. Um diese Dinge zu ändern braucht es Frauen in der Politik.
Empowerment und Kulturwandel
Anschließend gab es für die Anwesenden die Wahl zwischen zwei Workshops. Im ersten Workshop unter der Leitung der Landesgleichstellungsbeauftragten Monika von der Lippe ging es um „Empowerment und Kulturwandel“. Gesetzliche Regelungen sind nur eine Seite der Medaille. Es müssen auch gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden, die Frauen stärker ermutigen Politik aktiv mitzugestalten. Was nützt eine quotierte Liste, wenn nicht genügend Frauen für Listenplätze rekrutiert werden können? In dem Workshop wurden die bisherigen Hürden bei der Gewinnung von Frauen für die Politik herausgearbeitet. Die Arbeitskultur in der Politik ist nach wie vor an der Lebenswelt von Männern ausgerichtet. Fehlende Kinderbetreuung oder Busverbindungen am späten Abend reichen schon aus, um Frauen abzuschrecken. Schon in der frühen politischen Bildung werden Mädchen nicht darin bestärkt, Führungsrollen zu übernehmen und die Medien transportieren weiter veraltete Rollenbilder, in denen durchsetzungsstarke Frauen schlecht wegkommen. Die Geschlechterperspektive muss bereits in der politischen Jugendbildung eine stärkere Rolle spielen.
Als positive Faktoren wurden Fortbildungs- und Mentoringangebote angeführt, die es bereits vielfach gibt. Die Effektivität solcher Programme ist dem Umstand geschuldet, dass Frauen sich oft erst dann eine Mitwirkung zutrauen, wenn sie sich fachlich vorbereitet fühlen und sich sicher sein können, in ihrer Rolle kompetent zu sein und ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Eine weitere zentrale Frage des Workshops war, wie es gelingen kann Verbündete für Parité unter den männlichen Abgeordneten zu gewinnen. Hier gilt es, gemeinsame Themen und Interessen herauszuarbeiten und deutlich zu machen, welches Wähler*innenpotenzial hier noch nicht voll ausgeschöpft wird.
Keine Angst vor Klagen
Im zweiten Workshop unter der Leitung von Dr. Uta Kletzing (Friedrich Ebert Stiftung) und Dr. Marianne Czisnik (Deutscher Juristinnenbund) ging es um das Parité-Gesetz und politische Bedingungen. Der Wunsch nach einem Parité-Gesetz war bei allen Anwesenden deutlich, jedoch gibt es durchaus eine Bandbreite an Meinungen, wie dieses Gesetz genau aussehen soll. Welchen Prozentsatz streben wir an? Wie kann man Listen gesetzlich quotieren und das mit den bestehenden brandenburgischen Wahlgesetzen vereinbaren? Welche Anreize und Sanktionen soll es geben?
Insbesondere bei der Frage der Direktmandate herrschte noch keine Einigkeit. Listen lassen sich quotieren, Direktmandate nicht. Im Gesetzesentwurf der Grünen war eine Regelung ähnlich wie in Frankreich vorgesehen. Hierbei werden jeweils zwei Wahlkreise zusammengelegt und es tritt ein Duo an, welches immer aus Mann und Frau bestehen muss. Diese Regelung würde männliche Politiker dazu zwingen gezielt Frauen anzusprechen und zu fördern, da sie für ihren eigenen Wahlerfolg auf eine Partnerin angewiesen sind. In der Diskussion gab es Raum für Ideen und durchaus auch radikale Vorschläge, wie z.B. die komplette Abschaffung von Direktmandaten oder eine Frauenquote für Listen von über 50 %.
Bei der Frage, ob sich ein Parité-Gesetz mit der Verfassung vereinbaren lässt, kam eine klare Ansage von den anwesenden Vertreterinnen des Deutschen Juristinnenbundes: „Keine Angst vor Klagen!“ Nach Einschätzung der Juristinnen, und nach Einschätzung des „Gutachten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für politische Parität im Land Brandenburg“, kann ein Parité-Gesetz sehr wohl verfassungskonform sein. Selbst wenn es zu einer Klage kommt, muss das nichts Schlechtes sein. Zum einen ist es von Vorteil, wenn noch einmal eine andere Instanz ein solches Gesetz bewertet. Zum anderen gibt es im Falle einer erfolgreichen Klage eine Urteilsbegründung, die Hinweise gibt, wie man ein Gesetz nachjustieren kann, damit es in Zukunft Erfolg hat.
Ein Punkt, der immer wieder in diesem Workshop aufkam, war, dass Parité das Problem hat, als Elfenbeinturmthema wahrgenommen zu werden. Die Frauenverbände und Parteien müssen hier Arbeit leisten, um in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Parité in den Parlamenten und frauenpolitischen Erfolgen gibt.
Keine Ausreden mehr
Zum Abschluss der Konferenz begaben sich die anwesenden frauenpolitischen Sprecherinnen Diana Bader (Die Linke), Dr. Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/Die Grünen) und Ina Muhß (SPD) gemeinsam mit der Landesgleichstellungsbeauftragten Monika von der Lippe und Vertreterinnen des FPR auf das Podium. Links und rechts blieben Stühle frei, auf die sich im Wechsel Menschen aus dem Publikum setzen konnten, um ihre Fragen zu stellen und Beiträge in die Diskussion einzubringen.
Auch in großer Runde wurde noch einmal der Aspekt der Verfassungskonformität eines Parité-Gesetzes besprochen. Juristen sehen mehrheitlich Probleme bei der Vereinbarkeit einer gesetzlichen Parité-Regelung mit den bestehenden Wahlgesetzen. Juristinnen teilen diese Bedenken mehrheitlich nicht. Frau Nonnemacher brachte die Meinung des Plenums auf den Punkt: „Ein Parité-Gesetz schränkt meine Wahlfreiheit nicht ein. Der Mangel an Frauen schränkt meine Wahlfreiheit ein.“ Bei allen Bedenken ist es an der Zeit, es einfach zu probieren.
Die Moderatorin Heide Oestreich stellte die Frage „Wie werbe ich für das Gesetz?“ Frau Bader (die Linke) warb dafür, Verständnis für Skeptiker aufzubringen und langfristig zu denken. Frau Uhlworm (Unabhängige Frauenliste Königs Wusterhausen) betonte, dass die Akzeptanz in der Masse zweitrangig sei. Es muss Parité-Regelungen geben, einfach weil sie demokratisch sind. Wenn sie einmal da sind, wird die Akzeptanz folgen. Die Nichtraucherschutzgesetze waren einst ebenso unvorstellbar und sind inzwischen nicht mehr wegzudenken. Irene Kirchner vom Frauenwahllokal schloss sich diesem Punkt an. Vor 100 Jahren gab es auch keine breite gesellschaftliche Akzeptanz für das Frauenwahlrecht. Manche Dinge muss man einfach machen. „Wir müssen als Frauen die Machtfrage stellen.“
Auch mit Parité-Regelungen bleibt noch das Problem der Rekrutierung. Frau Muhß (SPD) erzählt, was ihre Ortsvereine zu quotierten Listen zu sagen haben: „Wir sind froh, wenn wir überhaupt eine Liste vollkriegen.“ Politik als Arbeitsfeld ist gerade allgemein nicht besonders attraktiv. Rekrutierung funktioniert über Betroffenheit. Wenn Frauen mit einem bestimmten Thema in ihrem Leben hadern, ist es einfacher, sie für ein Amt zu gewinnen. Frau Bader (Die Linke) bekräftigt, dass wir da nicht aufgeben dürfen. „Wir müssen Frauen immer wieder bestärken.“ Die Parteien sollten auch aufhören, auf eine Mitgliedschaft zu bestehen. Wenn es gelingt potenzielle Kandidatinnen zu gewinnen, die vielleicht nur auf Zeit oder nur für bestimmte Themenbereiche zur Verfügung stehen, ist auch das ein Gewinn. Andersherum gibt es auch Menschen deren Engagement in bestimmten Phasen ihres Lebens abflacht, die aber vielleicht ein paar Jahre später, wenn die Kinder älter sind, wieder zur Verfügung stünden. Die Parteien dürfen hier nicht den Kontakt verlieren.
Schließlich gibt es neben Parité auch andere gesetzliche Regelungen, die geändert werden müssen, damit mehr Frauen den Weg in die Politik finden. Aktuell haben Abgeordnete in Deutschland beispielsweise keinen Anspruch auf Mutterschutz oder Elternzeit. Das muss sich dringend ändern.
Sylvia Lehmann (SPD) sieht ein Problem in der Nichtvereinbarkeit von Politik, da Frauen nicht nur grundsätzlich überlegen, ob sie das können, sondern im Falle eines Amtsantritts ihren Job auch gewissenhaft machen und ihrer Verantwortung gerecht werden wollen. Hier hakte Frau Nonnemacher (die Grünen) ein und mahnte, sich von diesem Anspruchsdenken zu verabschieden. „Ich bin ein Gewinn für diese Gemeindevertretung, weil ich da bin und wenn ich mal nicht da bin, dann bin ich halt nicht da. Wir müssen nicht besser sein als die Männer.“
Annton Beate Schmidt (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen) brachte auf den Punkt, dass wir trotz aller Hürden keine Wahl haben. „Frauen dürfen keine Ausreden haben. Sie müssen!“
Was passiert jetzt?
Auf die Frage was der FPR will, antwortete Dr. Katharina Krüth: „Nicht in 10 Jahren noch über das gleiche Thema reden.“
Der Frauenpolitische Rat fordert den Landtag auf, ein Parité-Gesetz zu verabschieden, welches eine paritätische Aufstellung sowohl der Wahllisten als auch der Kreiswahlvorschläge sicherstellt. Er unterstützt den Aufruf „Mehr Frauen in die brandenburgische Politik“ der frauenpolitischen Sprecherinnen und der Landesgleichstellungsbeauftragten vom 05. September 2018. Der FPR sammelt im Moment Zuschriften, die im Dezember der Landtagspräsidentin übergeben werden sollen. Senden Sie uns Ihre Briefe und Postkarten mit der Forderung nach einem Parité-Gesetz. Hier finden Sie weitere Informationen.
Geschlechterparité ist erst der Anfang. Wir brauchen mehr Diversität, mehr Inklusion aller Bevölkerungsgruppen in den Parlamenten. Das bedeutet unterschiedliche Berufe, unterschiedliche Altersgruppen, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, mit und ohne Behinderung.
Es ist ein historischer Moment. Die Gelegenheit ist günstig, um wirklich etwas auf der Gesetzesebene zu bewegen. Es gibt bereits Parité-Gesetze in Frankreich und Tunesien. Irgendwann wird es ein Parité-Gesetz in Deutschland geben und dann können wir sagen: „Wir waren dabei!“. Wir saßen mit an dem Tisch, an dem Frauen sich zusammengetan haben, um einmal mehr ihr Recht zu erstreiten.
Seneca Falls 1848. Kopenhagen 1910. Mexico City 1975. Peking 1995.
Potsdam 2018.
Text: Laura Kapp
Fotos: Simone Ahrend