Liebe Frau Bonk, vielen Dank für Ihre Zeit! Was sind Ihre Aufgaben als kommunale Gleichstellungsbeauftragte?
Wir erfüllen unsere Aufgaben auf zwei Ebenen. Intern begleiten wir Kommunalverwaltungen bei der Personalauswahl und -entwicklung, bei Fragen der Organisationsentwicklung oder Arbeitsbedingungen, entwickeln Konzepte und Strategien. Extern wirken wir in die Kommune hinein, vor allem mit Angeboten zur Teilhabe und zur Vernetzung. Wir beraten politische Gremien und nehmen Stellung zu gleichstellungsrelevanten Aspekten. Es geht darum, den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft zu gestalten und die Bedingungen vor Ort zu schaffen, damit die Gleichstellung der Geschlechter im Alltag gelebt werden.
Welche Themen stehen bei Ihrer Arbeit besonders im Fokus?
Mir ist wichtig, den Blick für Vielfalt zu schärfen. Ich wünsche mir, dass wir ganz selbstverständlich über die Vielfalt der Geschlechter, das Miteinander von Jung und Alt, über vielfältige Familienformen, Rollenbilder oder Lebens- und Arbeitsmodelle sprechen – gerade in Zeiten, in denen rückwärtsgewandte Rollenbilder wieder populär werden. Leider beherrschen aber auch Themen wie häusliche Gewalt, Diskriminierung- und Sexismuserfahrungen immer wieder meinen Arbeitsalltag.
Inwiefern spielt das Thema Parität, also mehr Frauen in die Politik zu bringen, eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Die politische Teilhabe von Frauen ist für mich tatsächlich ein Herzensthema, zu dem ich seit vielen Jahren arbeite und auch forsche. Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert. Trotz mehr als 100 Jahren Frauenwahlrecht hat sich daran in Deutschland wenig geändert. Das gilt für die Bundes-, Landes- wie auch Kommunalebene. In Oranienburg ist das nicht anders. Hier liegt der Frauenanteil im Stadtparlament bei knapp 28 Prozent, das entspricht dem landesweiten Durschnitt.
Was unternehmen Sie in Oranienburg, um dieses Ziel zu erreichen?
Es braucht verschiedene Handlungsansätze, damit Frauen und Männer paritätisch und entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil in politischen Funktionen, Mandaten und Ämtern repräsentiert sind. Neben gesetzlichen Vorgaben bedarf es konkreter Programme und Angebote für eine stärkere Beteiligung von Frauen in der Politik sowie zur Förderung eines Wandels der politischen Kultur. Deshalb engagieren wir uns in Oranienburg im “Aktionsprogramm Kommune”. Gemeinsam mit dem Landkreis Oberhavel wurden wir als eine von drei ostdeutschen Regionen und als einzige Kommunen in Brandenburg für das Bundesprogramm ausgewählt. Ziel ist es, den Anteil von Frauen in den kommunalen Vertretungen in der Region zu erhöhen.
Wie sieht das konkret aus? Was passiert im Projekt?
Herzstück des Projekts ist ein überparteiliches Mentoring-Programm, welches Frauen, die noch neu in der Kommunalpolitik sind, mit erfahrenen Politikerinnen und Politikern zusammenbringt. Im Landkreis Oberhavel und in Oranienburg starteten im Sommer 16 Mentoring-Tandems. Das Programm dauert ein Jahr. Wir begleiten es mit ergänzenden Workshops und Vernetzungsangeboten. Ein weiterer Baustein des Aktionsprogramms ist eine Demokratie-Werkstatt, die im November in Oranienburg stattfinden wird. Gemeinsam mit Kommunalpolitiker*innen, den Kommunalverwaltungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren möchten wir an besseren Rahmenbedingungen für Kommunalpolitik arbeiten. Themen sind u.a. Sitzungs- und Diskussionskulturen, Umgang mit Hass, Hetze und Gewalt aber auch der Ausbau digitaler Formate.
Brandenburg hat sowohl den Speckgürtel als auch sehr ländlich geprägte Räume. Wie wirken sich diese unterschiedlichen Strukturen auf die Gleichstellungsarbeit aus?
Als kommunale Gleichstellungsbeauftragte bearbeiten wir eine Vielzahl an Themen: geschlechtsspezifische Gewalt, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, politische Partizipation von Frauen, Erwerbstätigkeit und Rollenbilder. Allen Themen gemein sind Fragen der Mobilität und Versorgungssituation. Hier steht der ländliche Raum vor größeren Herausforderungen als die Kommunen im Speckgürtel. In vielen ländlichen Regionen ist die soziale Infrastruktur oft schwer erreichbar, denken wir beispielsweise an Kinderbetreuung, Tagespflege oder Beratungsangebote. Eine Studie zur Situation der kommunalen Gleichstellungsarbeit in ländlichen Räumen Deutschlands zeigt auf, dass Gleichstellungsthemen und Strukturpolitik an vielen Stellen eng verwoben sind: Ländlichkeit verstärkt Gleichstellungsproblematiken aufgrund der Strukturschwäche. Eine Stärkung von Gleichstellungsarbeit kommt den ländlichen Räumen insgesamt zugute. Denn die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten sind maßgeblich an der Initiierung und Aufrechterhaltung frauen- und familienfördernder Unterstützungs- und Vernetzungsstrukturen beteiligt.
Sie sind Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Brandenburg. Was sind in Ihren Vernetzungsrunden die „brennenden“ Themen?
Im Fokus steht vor allem ein Thema: der gleichstellungspolitische Flickenteppich in Brandenburg. Seit Jahren variieren Einsatz, Ressourcen, Aufgabengebiete und Handlungsspielräume kommunaler Gleichstellungsbeauftragter in Brandenburg so stark, dass eine flächendeckende und nachhaltige Gleichstellungspolitik kaum gewährleistet ist. Die LAG fordert deshalb einheitliche und klare Definitionen der Rechte, Aufgaben und Kompetenzen einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten. Es müssen zwingend Regelungen getroffen werden, die verbindlich für alle die Situation verbessern und Rechtssicherheit schaffen. Die anstehende Novellierung der Brandenburger Kommunalverfassung kann dafür den Weg ebnen.
Welches Thema ist Ihnen besonders wichtig und warum?
Ganz klar: Parität! Demokratie braucht Frauen und Männer in ihrer Vielfalt!
Was würden Sie jungen Frauen, die sich für ein politisches Ehrenamt interessieren, als Tipp mit auf den Weg geben?
Empört Euch und tretet für die Themen ein, die Euch bewegen. Sprecht eine erfahrene Kommunalpolitikerin an und bittet sie, ihre Erfahrungen mit Euch zu teilen. Sucht Euch Verbündete, die an Eurer Seite stehen, um gemeinsam verkrustete Strukturen aufzubrechen und voneinander zu lernen. Legt den Finger in die Wunde und zeigt Euch solidarisch – über Parteigrenzen hinweg – gerade dann, wenn Ihr Sexismus und Diskriminierung erlebt. Wir brauchen junge Frauen wie Männer, die Kommunalpolitik neu denken und den Wandel einfordern.
Vielen herzlichen Dank und alles Gute Ihnen weiterhin!