„Auch erscheint zweifelhaft, ob der Verweis auf die Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten bereits ausreicht, um von einer „strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Politik“ ausgehen zu können.“
(BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 06. Dezember 2021 – 2 BvR 1470/20 -, Rn. 49)
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts spricht eine deutliche Sprache. Das Hauptargument der Beschwerdeablehnung bezieht sich allerdings weniger auf den Inhalt, als auf die Begründung der Beschwerde. Diese sei unzureichend, um eine Grundrechtsverletzung darzulegen. Zudem seien die Länder in ihrer Verfassungsgebung weitgehend autonom. In der Beschwerde fehle außerdem eine ausreichende Begründung, inwiefern eine paritätische Besetzung des Parlaments und der Wahllisten zur Landtagswahl notwendig sei, um den „Anspruch auf Demokratie“ zu erfüllen. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer:innen sich nicht ausreichend mit dem Grundsatz der Gesamtrepräsentation beschäftigt, wonach eine regional oder sonstige Zugehörigkeit (z.B. zu Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Alters- oder Geschlechtergruppen) kein Kriterium darstellt, um die Wähler:innenschaft angemessen repräsentieren zu können.
In Thüringen war auf Initiative der Fraktionen der Parteien DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2019 der Absatz § 29 Abs. 5 in der Landesverfassung ergänzt worden:
„Die Landesliste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden kann.“
Der Verfassungsgerichtshof hatte das Gesetz nach einer abstrakten Normenkontrolle, eingeleitet durch die Fraktion der AfD, gekippt. Daraufhin waren eine motivierte Gruppe von Beschwerdeführer:innen mit einer Verfassungsbeschwerde an das Gericht in Karlsruhe heran getreten.
Tragisch ist, wenn durch gerichtliche Entscheidungen Sätze zustande kommen, welche den strukturellen Ursprung der Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten aberkennen. Feministische Theorie und Analyse wird zu wenig mit in die Abwägung einbezogen. Hier ist noch mehr Sensibilisierung, wissenschaftliche Datenerhebung und qualitative Auswertung nötig, vor allem aber auch Protest, Organisierung und Mobilisierung.
Rechtsauffassungen ändern sich immer wieder, und das ist richtig, denn sie sollten sich veränderten gesellschaftlichen Mehrheiten und dem dazu gehörigen wissenschaftlichen Kenntnisstand anpassen. Brandenburg und Thüringen haben den ersten Schritt gewagt, ihre Verfassung im Sinne einer paritätischen Besetzung der Landeslisten zu ändern. Die Entwicklungen in beiden Ländern zeigen, dass der Weg zur Parität in den Parlamenten weiterhin einen langen Atem und kreative Initiativen erfordert. Der Ball liegt nun wieder bei der Bundesebene sowie progressiven Bündnissen in anderen Bundesländern. Auch in den Kommunen tun sich Gestaltungsspielräume auf. Seien es Ansätze wie das Gender Budgeting, Frauennetzwerke zur parteiübergreifenden Kooperation oder die Förderung und Unterstützung von Mädchen und Frauen vor Ort, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren.
von Verena Letsch und Anna Emmendörffer
Einen Pressespiegel zum Thema finden Sie hier.